Was Ameisen, Algen und die Technik von morgen verbindet

Talk im Lab

04/06/2019
12 min
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Zu Gast beim ersten Talk im Lab waren die Expertinnen und Experten Silvia Fluch, Geschäftsführerin der eparella GmbH und Vorstandsmitglied bei der ecoduna AG, sowie Peter Post, Vice President Corporate Technology Advisor bei Festo, der unter anderem das Unternehmen im Lenkungskreis der Plattform Industrie 4.0 vertritt und in den Wissenschaftsrat der deutschen Bundesregierung berufen wurde. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Journalistin Mona Müller.

 

Kommunikation schafft ein natürliches Gleichgewicht

Die auf Algenproduktion spezialisierte Molekularbiologin Silvia Fluch zeigte interessante Parallelen auf. „Alles in der Natur ist hochgradig vernetzt, weil ein Ökosystem sonst nicht funktionieren kann. Wie bei einer Maschine müssen auch hier alle ‚Komponenten‘ miteinander kommunizieren, damit es ein Gleichgewicht im Ökosystem gibt. Ist diese Kommunikation beeinträchtigt, kommt es zu Störungen im System wie etwa den Ausbruch von Krankheiten.“

Ein Informationsaustausch ist also im Grunde ein natürlicher Vorgang. Das sieht man auch an den Ähnlichkeiten in den Systemen Natur und technische Netzwerke. „Wir sprechen zum Beispiel von Evolution, Revolution oder Viren, die Computer anstecken – nicht ohne Grund werden hier die gleichen Bezeichnungen verwendet“, erklärt die Mikrobiologin.

 

Benchmark Ameise

Wie in der Natur verändert sich auch auf dem Weg in die industrielle Zukunft die Welt – dieser Wandel hat jedoch nicht abrupt und auch nicht erst vor Kurzem begonnen. Peter Post beschreibt diese Entwicklung so: „Den Trend in Richtung Digitalisierung gibt es schon lange, viel länger als den Begriff ‚Industrie 4.0‘. Dieser wurde als ‚Label‘ für diese Entwicklung erst im Jahr 2011 ins Leben gerufen. Trotz rasanter Innovationszyklen ist das jedoch keine Revolution, sondern vielmehr Evolution.“

Die Nähe der Systeme Natur und Technik veranschaulicht auch die von Peter Post mitgebrachte BionicAnt – eine Roboterameise, die mit ihren „Artgenossen“ kommuniziert und mittels Schwarmintelligenz Aufgaben gemeinsam erledigt. Vernetzung ist ihr Schlüssel zur Lösung von Herausforderungen, die man nur im Team bewältigen kann. Ein weiteres anschauliches Beispiel für das, was Industrie 4.0 von der Natur lernen kann.

 

Die Natur hat die Nase vorn

Zellkommunikation im Organismus erfolgt durch Hormone. So wissen die Zellen beim Embryo, welche Organe sie ausbilden sollen. Damit realisiert die Natur eine Komplexität, wie sie in der Technik heute noch unvorstellbar ist. Aber auch die digitalen Möglichkeiten entwickeln sich weiter, etwa bei der Informationsübertragung über Lichtqualitäten.

Das Gleiche gibt es auch im Pflanzenbereich – Lichtqualität dient als Steuerungselement für den Hormonhaushalt der Pflanzen: Er regelt
ihre Blühinduktion und ihr Längenwachstum. Aber auch die Biochemie eröffnet interessante Ansätze für die Technik.

 

Männchen oder Weibchen – das ist nicht immer fix

Die Natur ist eine Meisterin der Anpassung – ein echtes Vorbild für die von den Endkunden gewünschte und der Industrie vorangetriebene „Production on demand“. Als Beispiel nennt Silvia Fluch etwa Fische, die ihr Geschlecht in Abhängigkeit von der Umfeldtemperatur im Larvenstadium ausbilden, oder Amöben, die sich bis zu einem gewissen Grad an die Umwelt anpassen.

Auch die auf vier
Basen aufbauende DNA – was etwa bei Bäumen jahreszeitlich bedingt ist – wird chemisch so modifiziert, dass die von ihr transportierten Informationen eine andere Bedeutung erhalten. Solche Modifikationen können zudem über Generationen hinweg weitergegeben werden. Übersetzt man das in die Technik, würde das bedeuten, dass ein und derselbe Code mehrere Bedeutungen haben kann. Ein interessanter Denkansatz.

 

Balance als Voraussetzung

Die Deregulation von Systemen beginnt meist ganz klein, in einer einzigen Zelle. Sie legt ein Verhalten an den Tag, das nicht zum Gesamtsystem passt. Die Algenblüte zum Beispiel beginnt explosionsartig, und genau so breitet sich auch Krebs aus. Das kann bis zum Kollaps des Systems führen. „Das ist ein zentrales Thema in der Natur: Wie kann man wachsende Systeme stabil halten und wie kann man auf die einzelnen Komponenten so einwirken, dass sie mit dem System lernen und zusammenarbeiten. Das ist unerlässlich für die Stabilität von Ökosystemen“, sagt Fluch.

Die Balance in einem System ist entscheidend für sein längerfristiges Überleben. Das gilt auch für Industrie 4.0. Darum wird die Offenheit von Systemen immer wichtiger. Denn sie ist Voraussetzung für eine umfassende Kommunikation. Gleichzeitig sehen wir „Open Access“ und Stabilität oft noch immer als Widerspruch. In diesem Bereich sind noch viel Entwicklungsarbeit und auch ein umfassendes Umdenken erforderlich.

 

Herausforderung Digitalisierung

Die Digitalisierung bringt große gesellschaftspolitische Herausforderungen mit sich. Zum Beispiel sorgen die neuen Formen der Kommunikation für die zunehmende Auflösung nationaler Grenzen. Oder sie eröffnen bisher unmögliche Formen der Einflussnahme – Stichwort US-Präsidentschaftswahl.

Diese Fülle an Herausforderungen müssen wir gemeinsam angehen. Kein Mensch, keine Institution, kein Unternehmen und kein Staat wird das alleine schaffen. Wir alle müssen über uns hinauswachsen, lernen, weiter und offener zu denken und zu diskutieren. So findet man gemeinsam tragfähige Lösungen für die Welt von morgen.

 

Reise in die Zukunft

Peter Post bringt es auf den Punkt: „Niemand arbeitet heute wie vor fünf oder zehn Jahren. Der Mensch ist in seiner Geschichte schon immer vom Wandel begleitet. Der Hammer hat den Faustkeil verdrängt. Die Digitalisierung wird Berufsfelder verändern, sie wird Berufe verschwinden lassen, aber auch neue hervorbringen. Das ist eine Reise, auf die man sich einlassen sollte. Wer an dem Tätigkeitsprofil, das er heute ausführt, festhält, der wird in zehn Jahren wahrscheinlich Probleme haben.“

Konsequente Aus- und Weiterbildung und das lebensbegleitende Lernen werden zunehmend erfolgsentscheidend. Peter Post spricht in diesem Zusammenhang von „Livelong Qualification“. Lernen wird zur Grundlage des nächsten Schritts in einer sich schnell verändernden Umwelt. Das verlangt neue Angebote und Lernformate von der Bildungswelt. Stichwort: Lernen in kleinsten „Häppchen“, und zwar genau das, was man braucht, dann, wenn man es braucht. Am wichtigsten ist es, zu lernen, wie man lernt, und offen zu bleiben für Neues. Wer das beherrscht, der hat eine ausgesprochen gute Startposition für die Zukunft.

 

Von der Natur kann man noch viel mehr lernen.

Wenn du wissen willst, welche ungewöhnlichen Entwicklungen, wir von ihr schon abgeschaut haben, klicke hier.

 

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